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Pauer und Pitts bei Impulstanz: Leben als Pulli mit Zeitzünder

18. Juli 2018, 17:22

 

Start von junger und vielversprechender Choreografie unter dem Label [8:tension] Wien – Seit 2001 zeigt das Impulstanzfestival junge und vielversprechende Choreografie unter dem Label [8:tension]. In der ersten Ausgabe waren immerhin spätere künstlerische Schwergewichte wie Akram Khan oder Isabelle Schad zu sehen. Mit einem Publikumshit und einer künstlerischen Glanzleistung ist am Wochenanfang die bereits 18. Ausgabe dieses Festival-im-Festival gestartet.

 

Der Hit war das Duett Black Velvet – Architectures and Archetypes des New Yorkers Shamel Pitts (33), den Glanz lieferte die 1983 geborene Wienerin Karin Pauer mit ihrem Solo five hundred thousand years of movement im ebenfalls ausverkauften Performancebereich des Mumok-Kinos.

 

Pauer beeindruckte ihr Publikum mit einer präzise durchdachten, exzellent strukturierten und fabelhaft umgesetzten Performance ganz ohne den gerade wieder üblich gewordenen Frühwerk-Narzissmus. Vor einer an die Rückwand projizierten Zeitlinie, die irgendwo im Unermesslichen ansetzt und großteils poetische Ereignisse eines Lebens zeigt, spricht die Performerin eingangs ernüchternde Fakten mit gelassener Stimme aus: dass eben alles irgendwann beginnt, immer ein nächstes und mit tödlicher Sicherheit ein letztes Mal erfährt. Mit entwaffnender Ironie setzt sie die ganz großen Perspektiven der Kosmologie, Erd- und Menschheitsgeschichte ins Verhältnis zum Sandkorn eines einzelnen Lebens. Ein weiteres Motiv ist die Gnadenlosigkeit beständigen Wandels innerhalb scheinbar gleichbleibender Rhythmen. Zur Darstellung dieser Komplexität braucht Pauer nur einen viel zu weiten Pullover, ein paar Musikpassagen und ein Ticken zwischen Zeitzünder und Metronom.

Die erfahrene Künstlerin mit starker Präsenz gehört seit drei Jahren zu Chris Harings Company Liquid Loft, und dieses Solo ist nicht ihre erste Arbeit. Ebenso erfahren ist der an Ohad Naharin (Batsheva Dance Company) geschulte Shamel Pitts, der sein Black Velvet mit der Brasilianerin Mirelle Martins tanzt. Ein Mann und eine Frau durchqueren wie ein in erotische Verstrickungen geratenes Geschwisterpaar eine psychische Stresszone. Als goldglänzende Fetischkörper scheinen die bis auf Lendentücher Unbekleideten aus der Frühzeit des Menschen aufgestiegen zu sein. Martins rettet das etwas dick aufgetragene Stück mit ihrer überragenden Performance.

 

(Helmut Ploebst, 19.7.2018) - derstandard.at/2000083730304/Pauer-und-Pitts-bei-Impulstanz-Leben-als-Pulli-mit-Zeitzuender

Karin Pauer: five hundred thousand years of movement

19.07.2018

In den Museumsräumen des mumok hat die junge österreichische Choreografin Karin Pauer ihre neue Arbeit five hundred thousand years of movement präsentiert. Die Einladung im Rahmen der Reihe [8:tension] des internationalen Tanzfestivals ImPulsTanz 2018, dessen Stipendiatin Pauer bereits 2009 (danceWeb) und 2012 (TURBO Residency) war, ist logisch, die räumliche Entscheidung für die klimatisch tiefgekühlten Kellerräume des Museums moderner Kunst im Wiener Museumsquartier weniger.

Zu klein, zu kalt, denke ich mir, während ich im dicht besetzten Raum einen der noch leeren Plätze suche. Es bleibt noch der Treppenabsatz, aber die Welt ist nun einmal eine enge geworden, in diesen „ten million years“, deren Vergehen Pauer in den folgenden 50 Minuten mit ihrem Körper, einem riesigen bunten Strickpullover, dessen Muster mich wohlig an die eigene 80er-Jahre-Jugend erinnert, einem bestechend konzise gewebten Soundkonzept und einem berührenden Bühnenbesuch erzählt.

An der hinteren Wand des unterkühlten grauen Saales befindet sich eine projizierte Tafel mit handschriftlichen Notaten zur Entwicklungsgeschichte des Universums auf drei Ebenen, die miteinander in einen Dialog treten: etwas geschieht, etwas verändert sich, etwas entsteht und vergeht … „x“, zugleich Begleiter*in aller Ereignisse und Pauer selbst, die auf der leeren Bühne vor der Wand ihre Performance mit ihrem eigenen Sprechen beginnt, ist immer dabei. Bevor das unerbittliche Ticken der Weltuhr einsetzt, und mit ihm der Regen, das Zirpen, Röhren und Heulen lange verschwundener Lebensformen, erzählt Pauer noch von diesen vielen ersten Dingen, die uns begegnen, dann noch einmal und irgendwann ein letztes Mal. „Everything has a beginning, there is a first time of everything.‟  Und ein weiteres. Veränderung, Wiederholung, Abschied. Ein letztes Mal; die Trilogie findet ihr Ende, das letzte Kind, das geboren wird, das letzte Mal, dass man* zusammen ist.

Pauer nimmt das Mikrofon und stellt es an den Beginn ihrer Evolutionsgeschichte an der Hinterwand, (sie wird es in der Folge immer weiter versetzen, bis es im „now“ ankommt und die Choreografin selbst den letzten Schritt aus der Geschichte hinaus setzt). Der Regen setzt ein und mit ihm die Zeit, die erbarmungslos durch den Körper fährt und die Tänzerin in einen Strom von Pulsation, Schwingung und Erschütterung versetzt. Zucken, Wippen, Flügelschlagen, Kauern, Strecken, Stehen, Schütteln, Kriechen, Recken, Liegen. Evolution als unendliche rhythmische Bewegung zwischen den Ereignissen und unendliches Ereignis ohne jedes Innehalten. Da ist kein Moment, der nicht im Moment seines Seins schon wieder Vergangenheit geworden ist, keine Bewegung, die anhält. Das Ticken der Uhr, das einem Metronom gleicht, tick, tack − weiter geht es mit der ungebrochenen Fortsetzung einer Geschichte der endlosen Bewegung von Körper/n zwischen Entstehen, Begegnung und Vergehen in Zeit und Raum.

Nur für einen hundertausendjährigen Moment bewegt sich nichts. Kein Röhren, kein Ticken, kein Schlagen, und auch Pauer bleibt stehen. Ein Moment der Ruhe, „zero movement“, ein kleiner Sieg über das Vergehen, ehe sie wieder zuschlägt, die Zeit, und mit ihr die Geschichte des Kommens und Gehens, und die Tänzerin erneut in ihren unermüdlichen Versuch eines Körperorganigramms der Welt-Körper in Bewegung versetzt. Mikroben, Echsen, Dinosausier, Bäume, Meere, Bach und Hollywood, und immer wieder dieser Regen, der das Pendel der Flüchtigkeit in seiner rauschenden Eintönigkeit begleitet. Ein wenig Bach, noch einmal, ein wenig Shooping-Mall-Dancefloor; dann ist es Zeit für die verletzliche Begegnung mit dem eigenen Moment in der Geschichte und dem nahen Abschied.
Eine zweite Performerin kommt auf die Bühne, die noch immer der kühlraumgleiche helle, graue Keller ist − ich lese auf der Tafel „x-man visits“, wenngleich dieses fremde Wesen Pauers eigene Mutter ist − eine lange Umarmung, ein ineinander Kriechen, Blicke in und über den Körper der anderen, dann geht Pauer aus ihrer eigenen und der Geschichte des Universums ab, bleibt die Mutter allein. „The last child to be born, the last time being together.“

five hundred  thousand years of movement ist eine beeindruckend konzise, konzentriert schnörkellose und doch hoch emotionale, humorvolle und vibrierende sehr persönliche Auseinandersetzung Karin Pauers mit der Frage nach der Darstellbarkeit von unendlicher Potenzialität: In der kleinsten Bewegung ist ebenso viel Veränderung wie in der größten Stille. Überzeugt verlasse ich diesen klugen kosmischen Berührungsversuch und steige hinaus in den warmen Sommerabend.

Karin Pauer: „five hundred  thousand years of movement”,

 

Uraufführung im Rahmen von ImPulsTanz / [8:tension], 17. Juli 2018, mumok.
Weitere Vorstellungen: 19., 20. Juli 2018.

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