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Erstes Wochenende beim Donaufestival: Jugend auf den Barrikaden

 

Helmut Ploebst, Der Standard

 

29. April 2019

 

Eine gelungene Zusammenstellung erstklassiger Performances Jugendliche auf der Bühne sind immer anrührend für Ältere und Eltern, die diese Welt dazu gemacht haben, was sie halt jetzt ist. Dieser Verharmlosung setzt der belgische Choreograf Michiel Vandevelde das Messer an. Dafür hat er die zwölfköpfige Youngstersgruppe in seinem Stück "Paradise Now (1968–2018)" beim Kremser Donaufestival in eine Brandung aus Körpern verwandelt, die tief in die Sitzreihen des Publikums vordringt.

 

Aus kess aufgeputzten Teenagern, die zu Beginn als lebende Bilder ikonische Momente von 2017 bis zurück ins 68-er-Jahr nachstellen, werden Figuren, die zeigen, dass sie den Ernst der Lage in unserer Gegenwart verstanden haben. Ihre Körper inhalieren das Vernichtungspotenzial der globalen Geldmaschine und beginnen sich aufzulehnen. Immer heftiger und wütender, damit das Publikum auch spürt, dass es hier nicht wirklich um Unterhaltung oder bloß eine kulturintellektuelle Denkübung geht.

 

Enttäuschung über Alte

Dieses Stück ist ein klarer Ausdruck der Enttäuschung über das Versagen jener Alten, die aus Gier und Bequemlichkeit die Welt ihrer Nachkommen verzocken und vergiften. Damit erinnert es an eine Performance des portugiesischen Künstlerpaars Ana Borralho und João Galante, das vergangenen Herbst im Tanzquartier Wien mit "Trigger of Happiness" ebenfalls eine Anklage desillusionierter Teens formulierte. Vandeveldes Darsteller glauben nur noch an die Kraft der Freundschaft, an das Gemeinschaftliche im Kleinen.

Dazu passend hat Donaufestival-Kuratorin Astrid Peterle die Uraufführung eines Stücks der jungen Wienerin Karin Pauer ins Programm genommen. Unter dem Titel "This is where we draw the line" lotet die Choreografin zusammen mit dem Tänzer Arttu Palmio den Nachhall postmoderner Gesellschaftsdiskurse aus.

Gemeinschaftserlebnis

 

Unterstützt durch Zeichnungen von Aldo Giannotti und Paolo Montis Soundstrukturen schenkt Pauer in ihrer zweistündigen Choreografie ein Gemeinschaftserlebnis als soziale Plastik. An den weißen Wänden eines Galerieraums lassen Pauer und Palmio mittels schwarzer, immer neu gespannter Schnüre geometrische Formen entstehen und verschwinden.

 

Permanent bewegen sich die beiden in der Menge der umherstehenden Besucher, verbinden auch sie mit ihren dünnen Seilen. Diese sozialen Gebilde zerfallen bereits im Augenblick ihrer Herstellung durch die Künstler, während sich die abstrakten Formen erst mit der Zeit auflösen.

 

Die Leichtigkeit, mit der das Tänzerpaar sein Publikum immer wieder reorganisiert, grenzt zuweilen an Magie. Das verdankt sich offensichtlich einer ausgesprochen durchdachten Konzeption und deren konsequenter Umsetzung. Ein cooles und knisterndes Stück, dessen ironische Ebene durch freundlich vorgebrachte Einflüsterungen von hohlen Phrasen aus der Alltags-Wunschmaschine entsteht: "Stell dir vor, du startest die Revolution." Oder: "Dieser Mensch wird dein Leben verändern".

 

Personifizierter Horror

 

Einen Schritt in die Theaterperformance macht der US-amerikanische Musiker und Performer Bully Fae Collins mit seinem Solo "Plight Notions with Shandy". In dieser Standup-Tragedy humpelt und geifert Collins als personifizierter Horror vor einem irritierten Publikum. Der freakige Shandy ist stets auf dem Sprung zum Splatter, aber für ein Gemetzel am Zuschauer ("Haben Sie noch beide Nieren?") reicht es nicht. Dafür geht es der Vereinnahmung von Kunst durch Biederlinge und Brandstifter an den Kragen. Die gelungene Zusammenstellung erstklassiger Performances am ersten Donaufestival-Wochenende animiert zum Besuch der zweiten Lieferung ab kommendem Freitag: unter anderem mit dem robotischen "Uncanny Valley" von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) mit Thomas Melle und der Uraufführung von "Kultur" der brillanten spanischen Gruppe El Conde de Correfiel.

(Helmut Ploebst, 29.4.2019) Donaufestival

https://derstandard.at/2000102214702/Erstes-Wochenende-beim-Donaufestival-Jugend-auf-den-Barrikaden

Zarte Bande und große Stimmen beim donaufestival

APA, Salzburger Nachrichten

28.April, 2019

 

Wie verhalten wir uns in einem Raum, der frei, aber doch auch reglementiert ist? In dem wir mit Fremden einer Situation ausgesetzt werden, die uns zur bewussten Wahrnehmung unserer Umgebung führt?

Karin Pauer und Aldo Giannotti haben mit "this is where we draw the line" ein Glanzstück des diesjährigen donaufestivals in Krems abgeliefert. Eine performative Erkundung von Grenzen und Verbindungen.

 

Die österreichische Choreografin und der italienische Zeichner belegen am ersten Festivalwochenende das Forum Frohner, das als White Cube den Rahmen für diese höchst eindrucksvolle Versuchsanordnung bildet: Während das Publikum den Raum betritt, ihn zaghaft erkundet, wird es von Pauer und ihrem Kollegen Arttu Palmio (beide haben einen Hintergrund bei Liquid Loft) begrüßt. Man fühlt sich willkommen, ist neugierig und ein bisschen ratlos. Doch schon bald werden Seile, geometrische Formen und Bewegungen für das nötige Narrativ sorgen.

 

Im Kern setzt "this is where we draw the line" auf zwei Effekte: Einerseits werden mittels der Stricke und etlicher in die Wände geschlagener Nägel Kuben oder Pyramiden gebildet, die wiederum einen Bewegungsreiz für die beiden Tänzer liefern. Andererseits dürfen im weiteren Verlauf der rund zwei Stunden die Besucher selbst Hand anlegen und zarte Bande knüpfen oder starke Knoten bilden. Mit stets freundlicher Geste geben Pauer und Palmio mal diesem, dann jener ein Seil in die Hand, flüstern eine leise Anleitung (etwa "this is a strong connection which is about to break") und schreiten weiter zum nächsten "Punkt" ihres menschlichen Netzwerks.

 

Eine Form kann aber auch chaotisch sein, wenn die gezeichneten Seilstrukturen verändert werden oder in sich zusammenbrechen. Dann wird der Tanz von Pauer und Palmio noch eine Spur intensiver, direkter, schwirren die beiden zwischen den Betrachtern hin und her, um dann doch wieder Ordnung zu erlangen. Faszinierend ist dabei, wie stark mit der Zeit die Beziehungen in diesem Raum werden. Man ist Teil von etwas, fühlt sich einbezogen und verbunden. Nicht zuletzt trägt Paolo Montis einnehmender Livesoundtrack wesentlich zum Gelingen dieser Performance bei, die man zwar jederzeit betreten und verlassen könnte. Aber es wäre schade um jede Minute, die man verpasst.

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https://www.sn.at/kultur/allgemein/zarte-bande-und-grosse-stimmen-beim-donaufestival-69446062
 

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